Weißmehl - wirklich so ungesund?

Letztens im Supermarkt vor der Brottheke. Dunkles Roggenbrot? Oder doch lieber das Mehrkornbrot mit den Sonnenblumenkernen drin? Und wie wärs eigentlich nach längerer Zeit wieder mit einer Packung Toast fürs Frühstück? Und schon schrillten die Alarmglocken des ernährungsbewussten Medizinstudenten in mir, vor meinem inneren Auge tauchten Erinnerungen an Weizenmehl-verteufelnde Zeitungsartikel, Galileo-Fernsehreportagen und dubiose geteilte Facebookbeiträge von Tanten und Omas auf.

Manch einen befällt beim Konsum von Weißbrot ein schlechtes Gewissen, gelten doch Vollkornprodukte und demnach auch dunkles Brot als die gemeinhin gesündere Alternative. Unabhängig von den nicht wissenschaftlich belegten und oftmals überzogenen Behauptungen in diversen Gesundheitsmagazinen und sozialen Netzwerken zum Thema „Weißmehl“, ist auch in medizinischen Kreisen eher vom gesünderen dunklen Gebäck die Rede, welches im Körper im Gegensatz zu Backwaren aus hellem Mehl nicht so schnell zu energieliefernden Zuckern gespalten werde, den Blutkreislauf somit nicht mit einer plötzlich eintretenden, aber auch schnell abflauenden Blutzuckererhöhung herausfordere, und somit länger satthalte.

Doch ist dies nun wahr? Oder besser formuliert: Kann man diese Aussage pauschal auf alle Menschen anwenden? Eine im Jahr 2017 erschienene Studie von Wissenschaftlern des Weizmann Institute of Science in Israel kam in dieser Sache zu einem überraschenden Ergebnis:

20 Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen von jeweils 10 Personen aufgeteilt. Gruppe 1 ernährte sich eine Woche lang im Hinblick auf Gebäck ausschließlich von Weißbrot, Gruppe 2 von dunklem Brot. Danach tauschten Gruppe 1 und Gruppe 2 die Brotsorte. Folglich konsumierte Gruppe 1 in der nächsten Woche der Studie dunkles Brot, Gruppe 2 Weißbrot.

Eine anschließende individuelle Auswertung der Studienergebnisse ergab, dass bei der Hälfte der Probanden der Blutzuckerspiegel nach Verzehr von dunklem Brot vorübergehend stärker anstieg als bei Weißbrot. Bei der anderen Hälfte der Studienteilnehmer war dieser Effekt zu beobachten, nachdem sie Weißbrot zu sich genommen hatten. Doch was bedeutet das jetzt für uns? Das Studienergebnis zeigt, dass es nicht die eine gesunde Brotsorte für uns alle gibt, sondern dass ein und dieselbe Semmel sich bei zwei verschiedenen Menschen unterschiedlich auf deren Blutzuckerspiegel auswirkt.

Bei einem reagiert der Körper nach dem Essen einer Kaisersemmel mit einem hohen Blutzuckeranstieg. Der Zucker des Gebäcks wird rasch gespaltet und flutet den Blutkreislauf des Betroffenen. Als Reaktion darauf sorgt sein Organismus dafür, dass der erhöhte Zucker schnell wieder auf den Ursprungswert gebracht wird, indem die Zellen seines Körpers ihn aus dem Blut nehmen und in sich aufnehmen. Das hält nicht gerade lange satt und der Hunger nach neuer Energie wird neu entfacht.

Währenddessen bleibt der Blutzuckerspiegel des anderen nach Verzehr einer gleichwertigen Kaisersemmel unbeeindruckt und dieser kann die Energie, die langsamer in sein Blut kommt, längere Zeit verwerten. Für ihn hingegen ist das dunkle Roggenbrot „ungesünder“, weil es bei ihm denselben Effekt auslöst, wie die Semmel aus Weizenmehl beim Ersteren. Sollte er sich in Hinblick auf seinen Stoffwechsel weiterhin die vermeintlich gesünderen Backwaren aus dunklem Mehl kaufen?

Für Zuckerkranke stellt dies eine wichtige Information dar, ist es doch vor allem für sie von hoher Bedeutung, ihren Blutzuckerspiegel nicht in allzu große Höhen zu bringen. Wieso? Diabetes stellt für Betroffene ein enormes Risiko in Hinblick auf Herzinfarkte oder Schlaganfälle dar. Diese geschehen, wenn Gefäße sich durch Verkalkungen verengen und nicht genügend sauerstoffreiches Blut zu den lebenswichtigen Organen Herz und Gehirn gelangt. Zu diesen gefährlichen Verkalkungen kommt es unter anderem durch einen dauerhaft erhöhten Blutzucker, der die normale Funktion der Gefäßwände maßgeblich stört.

Was aber noch verblüffender ist, ist, dass die Forscher aufgrund der individuellen Zusammensetzung der natürlichen Bakterien im Darm eines jeden Teilnehmers voraussagen konnten, welche Brotsorte für den- oder diejenige im Hinblick auf seinen/ihren Zuckerstoffwechsel die „gesündere“ sei. Die Studie, so das Forscherteam vom Weizmann Institute, zeige nicht nur die

Bedeutung eines personalisierten Zugangs zu Ernährungsempfehlungen auf, sondern auch, dass pauschalisierte, und vor allem stark überzeichnete Ratschläge zu Ernährung mit gewissem Abstand betrachtet werden sollten.

Was wir uns jedoch bei dieser Studie zu Augen führen müssen ist, dass sie, genauso wie jede andere wissenschaftliche Erhebung, gewissen Störfaktoren ausgesetzt ist, welche ihre Ergebnisse verzerren oder weniger aussagekräftig machen können. Ein Kritikpunkt, der bei dieser Studie angebracht ist, ist die nur 20 Personen fassende Testgruppe. Nehmen wir an, dass unter den 20 Probanden des Versuchs 3 junge Frauen wären. Könnte man das Ergebnis der Studie somit automatisch auf alle jungen Frauen einer Bevölkerung anwenden? Nein, um die Aussagekraft der gemachten Beobachtungen zu erhöhen, bedürfe es einer Studie mit mehr Teilnehmern, welche geschlechter- oder altersspezifische Unterschiede besser berücksichtigen könnte. Auch untersuchte die Forschergruppe aus Israel in ihrer Versuchsreihe nur den Aspekt „Anstieg des Blutzuckerspiegels“. Andere messbare Faktoren, wie zum Beispiel Nährstoff- und Ballaststoffgehalt und deren gesundheitlicher Nutzen, wurden nicht berücksichtigt und müssen in anderen Versuchen gemessen werden.

Leider führen viele Artikel, die in Zeitungen, Magazinen oder im Internet veröffentlicht werden, und verschiedene Studien zitieren, solche Störfaktoren, genannt „Bias“, oft nicht auf. Sie vermitteln dem Leser das Gefühl, die gerade gelesene Information sei die absolute Wahrheit, ohne ihn darüber aufzuklären, dass jede Studie ihre eigenen spezifischen Messverzerrungen hat.

Im Fall der Brotstudie bedeutet dies aber nicht, dass sie nicht stimmt, sondern dass wir ihre Ergebnisse, genauso wie die aller anderen Studien, welche im Internet und sonst wo zitiert werden, mit gewissem Abstand und kritisch betrachten müssen.

Kalzium als Nahrungsergänzungsmittel

Gesunde Ernährung allgemein ist ein heiß diskutiertes Thema in unserer Gesellschaft, will sich doch jeder so ernähren, wie es am besten für seinen Körper ist. Aus dem daraus resultierenden Wirrwarr an verschiedensten, sich teilweise komplett widersprechenden Experten- und Nichtexpertenmeinungen hat sich über die Jahre hinweg der Trend zur Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln hervorgetan. Die vor allem in Werbungen angepriesene Wirksamkeit dieser Nahrungsergänzungen bei gesunden Menschen, bei denen keine Verschreibung aufgrund eines erkannten Nährstoffmangels durch den Arzt angezeigt ist, wird durch verschiedenste Studien zumindest angezweifelt, wenn nicht sogar gänzlich widerlegt. Man sollte grundsätzlich immer genau hinsehen, wenn von gewissen Seiten Produkte mit dem Verweis angepriesen werden, dass deren medizinische Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Wer hat diejenige Studie in Auftrag gegeben? Wurde die Studie über die propagierte heilende Wirkung eines Produkts vielleicht sogar vom Hersteller selbst finanziert? Wie vorhin schon erwähnt, hat jede Versuchsreihe ihre eigenen spezifischen Fehlerquellen, welche die Messungen der Forscher verzerren. Man kann bestimmte Vorgänge in Studien aber auch so beeinflussen, dass Ergebnisse in eine bestimmte, von Menschen gewollte Richtung, gelenkt werden. Wer hätte daran wohl das größte Interesse?

Im Falle von Kalziumpräparaten wurde durch eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg ein erhöhtes Herzinfarktrisiko bei Menschen beobachtet, die diese Art von Nahrungsergänzungsmitteln zur Stärkung ihrer Knochen zu sich nahmen. Dieses erhöhte Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ruhe vermutlich davon, wie schon beim oben erwähnten hohen Blutzucker, dass das durch Tabletten aufgenommene Kalzium plötzlich und in sehr hohen Mengen ins Blut komme und so leichter zu Verkalkungen in Gefäßen führe. Diese Verkalkungen stören dann die ordnungsgemäße Sauerstoffversorgung des Herzens durch das Blut. Bei durch Nahrungsmitteln konsumiertem Kalzium sei dieser Effekt nicht zu beobachten, da das aus der Nahrung stammende Mineral viel langsamer und in kleineren Mengen in den Blutkreislauf gelange. Die Betreuer der Studie, welche insgesamt 24 000 Teilnehmer (Alter zu Beginn: 35-64 Jahre) über einen Zeitraum von 11 Jahren beobachteten, raten demnach unter anderem auch deshalb zur Vorsicht bei der Einnahme von Kalziumsupplementen, da deren positiver Effekt auf die Knochendichte relativ gering sei. Es gebe andere und besser geeignete Wege, um die Gefahr von Knochenbrüchen bei älteren Menschen zu verringern. Junge Leute hingegen, die nicht durch eine Erkrankung oder das Alter an brüchigen Knochen leiden, können getrost auf eine zur normalen Ernährung zusätzliche Kalziumaufnahme durch Tabletten verzichten. Der menschlichte Körper verfügt zum Glück über einen natürlichen und hochkomplexen Mechanismus zum Schutz seiner Knochen, welcher im Normalfall und bei den meisten Menschen ohne die Beihilfe von potenziell gesundheitsschädlichen Brausetabletten oder Ähnlichem perfekt funktioniert.

Rezept für fast alles - Sport

Für diejenigen, die trotzdem etwas für die Gesundheit ihrer Knochen tun möchten, gibt es eine billige und spannendere Alternative zu Kalziumtabletten, nämlich Sport. Ärzte aus den USA schreiben in einer im Fachblatt „Bone“ veröffentlichten Studie, dass sich regelmäßiges Kraft-, beziehungsweise Sprungtraining positiv auf die Knochendichte von Menschen auswirke. 38 Probanden mit einem erhöhten Frakturrisiko aufgrund brüchiger Knochen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und über einen Zeitraum von einem Jahr zweimal wöchentlich (Gruppe mit Krafttraining) und dreimal wöchentlich (Gruppe mit Sprungtraining) einem Trainingsprogramm unterzogen. Zu den Übungen der ersten Gruppe zählten Kniebeugen, Gewichte heben und Rudern. Die andere Gruppe widmete sich unterschiedlichen Sprüngen auf einem oder zwei Beinen, deren Intensität sich mit fortschreitendem Training steigerte. Durch die regelmäßige mechanische Beanspruchung fingen die Knochenzellen der Studienteilnehmer an, vermehrt einen Botenstoff auszuschütten, welcher im Knochenstoffwechsel den Aufbau von Knochenmaterial fördert (IGF-1). Die Werte eines anderen Botenstoffes (Sclerostin), welcher gegenteilig dazu für den Abbau der Knochen zuständig ist, sanken. Als Ergebnis dieser zwei Vorgänge verbesserte sich die Knochendichte der Teilnehmer und somit auch ihr Risiko, einen Knochenbruch zu erleiden. Unsere Knochen reagieren demnach auf äußere Einflüsse und festigen sich durch die Belastung, denen wir sie aussetzen. Effektiver und in vielerlei Hinsicht gesünder für unseren Körper als Nahrungsergänzungsmittel.

Im nächsten Artikel, der für Dezember geplant ist, werde ich wieder über aktuelle Erkenntnisse aus der Medizin schreiben, die sich auf unseren Alltag auswirken. Diesmal wird es sich speziell um wissenschaftliche Studien handeln, die sich mit der Zeit rund um Weihnachten und den Winter beschäftigen. Unter anderem erfahrt ihr, warum es in der Vor- und Nachweihnachtszeit zu mehr Herzinfarkten kommt als zu jeder anderen Zeit im Jahr und ob dieser Fakt mit dem kalten Wetter zusammenhängt. Darüberhinaus könnt ihr sowohl mir (jakub.hoz@gmail.com) als auch Stefan medizinische Fragen zu Themen zuschicken, die euch schon immer interessiert haben, und ich werde nach aussagekräftige Studien suchen, mit welchen ich sie für euch und die anderen Leser beantworten kann. Bis dahin, macht‘s gut!

Euer Jakub (Student an der MedUni Wien, begeisterter Sportler)

Für diejenigen von euch, die besonders interessiert sind, verlinke ich hier die Studien, aus denen ich Informationen für diesen Artikel bezogen habe. Ich freue mich über jegliche Kritik, Korrektur- und Verbesserungsvorschläge von eurer Seite:

1) Bread Affects Clinical Parameters and Induces Gut Microbiome-Associated Personal Glycemic Responses. Korem T, Zeevi D, Zmora N, Weissbrod O, Bar N, Lotan-Pompan M, Avnit-Sagi T, Kosower N, Malka G, Rein M, Suez J, Goldberg BZ, Weinberger A, Levy AA, Elinav E, Segal E. Cell Metab. 2017 Jun 6;25(6):1243-1253.e5. doi: 10.1016/j.cmet.2017.05.002. Link: http://dx.doi.org/10.1016/j.cmet.2017.05.002

2) Associations of dietary calcium intake and calcium supplementation with myocardial infarction and stroke risk and overall cardiovascular mortality in the Heidelberg cohort of the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition study (EPIC-Heidelberg). Li K, Kaaks R, Linseisen J, Rohrmann S. Heart. 2012 Jun;98(12):920-5. doi: 10.1136/heartjnl-2011-301345.

Link: https://heart.bmj.com/content/98/12/920.long

3) Serum sclerostin decreases following 12months of resistance- or jump-training in men with low bone mass. Hinton PS, Nigh P, Thyfault J. Bone. 2017 Mar;96:85-90. doi: 10.1016/j.bone.2016.10.011. Epub 2016 Oct 12.

Link: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5328803/

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